Die Angst vor der Hölle
- Julia Neuenhagen
- 15. Juli 2024
- 6 Min. Lesezeit

Die Angst vor der Hölle
Eine der größten Ängste von Menschen, die in fundamentalen-evangelikalen Gemeinden aufgewachsen sind oder auch im Erwachsenenalter derartige Gemeinden besucht haben, ist die Angst davor nach dem Tod in die Hölle zu kommen und dort für ihr gottloses Leben hier auf der Erde und ihre Sünden bestraft zu werden.
Einige Menschen haben auch Angst davor, dass Angehörige und liebe Freund*innen in der Hölle landen werden, weil sie sie zu Lebzeiten nicht zum Glauben bekehrt haben.
Auch wenn man die Gemeinde bereits verlassen hat, die Dekonstruktion des Glaubens im vollem Gange ist, man viele Bibelstellen für sich durchdacht und auch mit anderen diskutiert hat und sogar theologische Fachliteratur gelesen hat, nagt bei vielen Betroffenen trotzdem noch der innere Zweifel.
Gedanken wie “Was, wenn doch…?" Was, wenn es doch eine Hölle gibt? Was, wenn ich mich täusche? usw. sind keine Seltenheit und machen einem das neu gewonnene Leben schwer, obwohl intellektuell und logisch alles verstanden wurde und man sich ziemlich sicher ist, dass eine jenseitige Hölle nicht existiert.
Woran liegt das?
Auch wenn sich diese Angst sehr real anfühlt, liegt das daran, dass das eigentliche religiöse Trauma nicht in der Angst vor der Hölle besteht, sondern in der Angst davor, verlassen und als einzige Person verbannt und von den anderen Menschen isoliert zu werden, und das löst eine unheimlich Scham und Angst aus.
Wie kann das sein?
Als Mensch sind wir Rudeltiere.
Wir brauchen die Gemeinschaft anderer Menschen, um zu überleben.
Wenn wir aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden oder nur das Gefühl haben, nicht mehr Teil dieser Gemeinschaft zu sein, löst das Todesangst aus.
Ganz allein können wir nicht überleben.
Deswegen ist Mobbing auch so furchtbar schlimm.
Unser Leben ist bedroht, wenn wir als einzige Person ausgeschlossen und von anderen Menschen isoliert werden.
Das ist der Grund, warum sich die Angst vor der Hölle so existenziell anfühlt und nicht einfach abzuschütteln ist.
Den psychologischen Hintergrund der Angst vor der Hölle zu kennen, ist für viele Betroffene unheimlich weiterführend, denn dann ist man dieser Angst nicht mehr so ausgeliefert und kann noch einmal aus einem anderen Blickwinkel diese Angst anschauen.
Vielen Betroffenen hilft darüberhinaus die Beschäftigung mit dem Begriff "Hölle" in der Bibel.
Was steht eigentlich im Alten und Neuen Testamenten über die Hölle in der Bibel?
Welche Worte aus dem Urtext der Bibel wurden im Deutschen mit Hölle übersetzt?
Was ist der Unterschied zwischen Hölle und Fegefeuer?
Darauf gehe ich im Folgenden ein.
2. Die Hölle im Alten Testament
Das Alte Testament wurde ursprünglich auf Hebräisch geschrieben.
Das Judentum kennt jedoch keine Hölle.
Es gibt nur die sogenannte Scheol. Das ist die Unterwelt, in der sich die Verstorbenen aufhalten. Die Scheol ist aber kein Ort ewiger Qualen.
Da Jesus selbst Jude war, halte ich es für völlig ausgeschlossen, dass er eine Hölle gepredigt hat, in der die Menschen bestraft werden.
Denn unsere heutigen Höllenvorstellungen existierten zur damaligen Zeit noch gar nicht.
So kam beispielsweise erst im antiken Judentum, unter iranisch-hellenistischen Einfluss, die Idee auf, dass der Hades ein Ort für die Bestrafung der Gottlosen ist.
Verfestigt hat sich diese Annahme durch Augustinus von Hippo (4. Jahrhundert n. Chr.), der die ewigen Höllenstrafen lehrte.
Das Schweigen der Bibel über das Jenseits und was da so vor sich geht, hat jedoch die fromme Neugier angeregt und dazu geführt, dass Aussagen der Bibel durch menschliche Phantasien ergänzt wurden. Durch den Einfluss anderer Kulturen und durch die Lehre Augustinus wurde das Jenseits immer mehr zu einem Strafort.
3. Die Hölle im Neuen Testament
Das Neue Testament wurde ursprünglich auf Griechisch verfasst und dann von dort - hauptsächlich durch Martin Luther - ins Deutsche übersetzt.
Deswegen lohnt sich ein Blick in den Griechischen Urtext, um zu schauen, welche griechischen Wörter im Deutschen mit “Hölle” übersetzt wurden.
Im Matthäus- und Lukasevangelium, in der Apostelgeschichte und der Offenbarung wird das Wort Hades mit Hölle übersetzt. Der Hades ist ein Begriff der griechischen Mythologie. Darunter wird das Totenreich oder die Unterwelt verstanden, in der sich die Toten aufhalten. Der Hades liegt im Inneren der Erde, so dass man in ihn hinabsteigt. Er ist aber in der Bibel niemals der Ort der ewigen Qualen für die Verstorbenen.
Am häufigsten wird das Wort Gehenna mit Hölle übersetzt. Vor allem im Matthäusevangelium und im Jakobusbrief.
Gehenna war ein real existierender Ort, nicht bloß eine Vorstellung. Es war eine Müllhalde außerhalb der südwestlichen Ecke der Jerusalemer Altstadt und es fanden dort Kinderopfer statt. Das Tal gibt es heute noch unter dem Namen Ge Hinnom.
Wenn Jesus also von Gehenna spricht, meint er einen ganz diesseitigen Ort und verweist nicht auf das Jenseits.
Hölle ist in der Bibel also kein Ort der Zukunft, sondern ein Ort, an dem Güte, Liebe und Schönheit des Lebens fehlen.
Diese Hölle kann beispielsweise erlebt werden als Krieg, Leben in zerrütteter Ehe, in aller Art von Zwängen, zwischenmenschlichen Intrigen, in trostlosen Arbeitsverhältnissen und schlimmen Erkrankungen etc.
Deswegen lässt sich festhalten: Es gibt in der Bibel keine jenseitige Hölle, in der schlechte Menschen oder Menschen, die sich selbst für schlecht halten, auf Ewigkeit schreckliche Qualen erleiden müssen.
Ich halte es für ganz wichtig zu betonen, dass es im Neuen Testament keinerlei Jenseitsvorstellungen gibt; es gibt keine Lehre vom Jenseits!
All diese Vorstellungen von Satan in der Hölle, der die Menschen für ihre Sünden bestraft, ist reine menschliche Phantasie und hat keine Anhaltspunkte in der Bibel.
Deswegen halte ich an dieser Stelle nochmals kurz fest: Weder das Griechische noch das Hebräische haben ein eigenes Wort für Hölle.
Die Bibel kennt keine Hölle, in der Menschen bis auf alle Ewigkeiten bestraft werden!!!
Für viele von der Angst vor der Hölle Betroffene ist diese Erkenntnis unheimlich entlastend. Deswegen ist es Zeit, tief Luft zu holen und einen Seufzer der Erleichterung auszustoßen!
4. Was ist der Unterschied zwischen Hölle und Fegefeuer?
Der Begriff der „Hölle“ ist von dem sogenannten „Fegefeuer“ zu unterscheiden.
Das Fegefeuer ist eine rein römisch-katholische Lehre, die im Mittelalter entwickelt wurde.
Das Fegefeuer war ein Läuterungsort für Menschen, die kein sündenfreies Leben geführt haben.
Sie sind zwar zum Heil bestimmt, sind aber noch nicht vollständig bestraft worden.
Deswegen ist das Fegefeuer zeitlich befristet.
Das Fegefeuer ist also so etwas wie ein jenseitiges Gefängnis.
Biblisch gibt es keine Grundlage für das Fegefeuer.
Allerdings sind viele Vorstellungen, die im Mittelalter bezüglich der Hölle und Teufel entwickelt wurden, noch heute in unserem Gedächtnis verankert (z.B. das kleine rote Teufelchen mit Pferdefuß und Hörnern oder das Feuer der Hölle).
5. Was hilft, wenn ich Angst vor der Hölle habe?
Wenn du dich von deiner Angst vor der Hölle befreien möchtest, ist es Not wendend, dich mit deiner Einsamkeit und Scham auseinanderzusetzen.
Die Hölle ist dabei allerdings nur ein Bild für die Angst des Menschen verlassen und vom Rest der Menschheit verbannt zu werden.
Fachtheologisches Wissen über die Hölle ist dabei hilfreich, aber allein mit logischem Denken und Fachwissen kommt man gegen diese Angst nicht an, weil diese Ängste in Teilen des Gehirns gespeichert sind, die durch Sprache und Logik nicht zu erreichen sind.
Was also tun?
Du kannst ganz behutsam bei dir selbst anfangen und dir beispielsweise folgende Fragen stellen:
Hatte ich eine emotionale Bezugsperson oder war Gott mein einziger Ansprechpartner, wenn ich Sorgen und Probleme hatte?
Konnte ich mit jemandem über meine Gefühle reden, ohne dafür verurteilt zu werden?
Haben mir meine Eltern gesagt, dass sie mich lieben?
Durfte ich so sein wie ich bin?
Habe ich heute noch Angst, vom Glauben abzufallen oder nicht mehr Glauben zu können, weil ich dann das Gefühl habe von meinen Eltern, Familie oder der Gemeinde ausgeschlossen zu werden und dann ganz allein und isoliert von anderen Menschen zu sein?
(zum Blogartikel: https://www.julia-neuenhagen.com/post/die-angst-vom-glauben-abzufallen-oder-nicht-mehr-glauben-zu-können)
Wenn du dich mit dir selbst auseinandersetzt, wirst du schnell merken, woher deine eigentliche Ängste und toxischen Schamgefühle kommen.
Manchmal sind die Antworten auf diese Fragen sehr schmerzlich.
Da kann es hilfreich sein, sich begleitende Hilfe zu holen, damit man den Weg nicht alleine gehen muss.
2. Eine Gewichtsdecke kann dir nachts dabei helfen, dein Nervensystem zu beruhigen, ein Gefühl von Geborgenheit zu generieren und dich unterstützen zur Ruhe zu kommen, sollte sich deine Angst vor allem nachts zeigen.
3. Das Laufen in Barfußschuhen oder ganz barfuß kann dir dabei helfen, dich zu erden, den Boden unter den Füßen zu spüren und dich fest auf dieser Erde zu verwurzeln.
4. Zu lernen, das Nervensystem zu regulieren, kann dir dabei helfen, vom Kopf in den Körper zu kommen und dich zu beruhigen.
5. Halte dich von Menschen und Gemeinden fern, die dich beim Thema "Hölle" verunsichern und Angst einjagen, solange du die Angst noch nicht bearbeitet und integriert hast.
6. Pass auf welche Fragen du dir stellst! Egal welche Frage du dir stellst, dein Gehirn wird dir eine Antwort liefern. Wenn du dich beispielsweise fragst, komme ich in die Hölle? Wird dein Gehirn zahlreiche Gründe dafür finden, dass du in die Hölle kommst - und zwar auch dann, wenn es gar keine Hölle gib. Frage dich deswegen lieber "Was würde mir jetzt helfen oder mich unterstützen?"
7. Und was natürlich absolut gut gegen die Angst vor der Hölle hilft, ist, sich mit anderen Menschen im realen Leben zu treffen. Sich zusammenzuschließen, zu verbinden und viele schöne gemeinsame Dinge zu unternehmen, ist das hilfreichste Rezept gegen die Angst vor der Hölle.
Ich hoffe, dieser Beitrag unterstützt dich dabei, dich mit der Angst vor der Hölle auseinanderzusetzen, so dass das ängstliche Gefühl immer weiter abnehmen kann und du immer mutiger wirst, deinen eigenen Weg zu gehen!
Wenn du andere Menschen kennst, die von der Angst vor der Hölle betroffen sind oder für die der Artikel interessant sein könnte, teile den Beitrag gerne!
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