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Was ist ein religiöses Trauma?

“Die körperliche, emotionale oder psychologische Reaktion auf religiöse Überzeugungen, Praktiken oder Strukturen, die von einer Person als überwältigend oder störend empfunden wird und dauerhafte negative Auswirkungen auf das körperliche, geistige, soziale, emotionale oder spirituelle Wohlbefinden einer Person hat.”

(Definition des Religious Trauma Institute in den USA)

Hier findest du Antworten auf häufig gestellte Fragen:

Religiöses Trauma - was ist das?

Hier findest du Informationen zum Thema religiöses Trauma und was die drei Hauptursachen von religiösem Trauma sind.

Welche Symptome können bei einem religiösem Trauma auftreten?

Unter diesem Abschnitt habe ich die häufigsten Symptome eines religiösen Traumas zusammengetragen.

Bin ich von einem religiösen Trauma betroffen?

Hier findest du einen Test zur Selbsteinschätzung, ob du eventuell von religiösem Trauma betroffen bist.

Religiöses Trauma - Was ist das?

Religion, Glaube und Spiritualität können etwas sehr heilsames und unterstützendes im Leben eines Menschen sein. Sie sind für viele Menschen eine Ressource in schwierigen Zeiten und können die Verbundenheit zu sich selbst und anderen Menschen stärken.

 

Doch neben der hilfreichen Ressource gibt es leider auch eine dunkle und schädigende Seite von Glaube und Spiritualität, die Menschen leiden lässt, Potenziale hemmt und zu einem sehr verängstigten und belastenden Lebensgefühl führt.

 

Als ich vor 20 Jahren begann, mich mit dem Thema "religiöses Trauma" auseinanderzusetzen, gab es noch kaum Informationen zu der Thematik. In der theologischen Fachliteratur wurde nicht von religiösem Trauma gesprochen, sondern sehr vereinzelt von ekklesiogener Neurose und manchmal auch ziemlich abfällig von Gemeinde - oder Kirchenmacke.

Diese Begriffe werden heutzutage jedoch nicht mehr verwendet.

Die US-amerikanische Psychologin Dr. Marlene Winell war eine der ersten, die vom religiösen Trauma Syndrom sprach.

Sie hatte in ihrer psychotherapeutischen Praxis immer wieder mit Menschen zu tun, die aus streng christlich religiösen oder fundamentalistisch-evangelikalen Gemeinden ausgestiegen sind und nun mit unterschiedlichen Problemen und Symptomen zu kämpfen hatten.

Die Symptome erinnerten sie an die Symptome, die auch bei einer posttraumatischen Belastungsstörung auftreten und deswegen nannte sie das Phänomen religiöses Trauma Syndrom.

 

In den USA wird sehr viel zu dieser Thematik geforscht und mittlerweile spricht man nicht mehr vom religiösen Trauma Syndrom, sondern nur noch von religiösem Trauma.

 

Warum?

Ein Syndrom ist immer ein bestimmtes Cluster von Symptomen, das bei allen Menschen auftritt, die unter dem jeweiligen Symptom leiden.

Das würde bedeuten, dass alle Menschen, die von religiösem Trauma betroffen sind, dieselben Symptome haben.

Das ist aber nicht der Fall.

Religiöses Trauma ist sehr subjektiv und individuell.

Die Probleme und Symptome, die Betroffene haben können, variieren zum Teil stark und können sehr unterschiedlich sein.

Aus diesem Grund spricht man heutzutage nicht mehr von Syndrom, sondern nur noch von religiösem Trauma.

Das Religious Trauma Institute in den USA definiert religiöses Trauma folgendermaßen:

“Die körperliche, emotionale oder psychologische Reaktion auf religiöse Überzeugungen, Praktiken oder Strukturen, die von einer Person als überwältigend oder störend empfunden wird und dauerhafte negative Auswirkungen auf das körperliche, geistige, soziale, emotionale oder spirituelle Wohlbefinden einer Person hat.”

 

Religiöses Trauma ist also nicht das, was jemand erlebt hat oder was gepredigt wurde, sondern die Art und Weise, wie das Nervensystem und der Körper darauf reagiert haben.

 

Das bedeutet: bestimmte religiöse Lehren, religiöse Glaubenssätze oder Erlebnisse, die jemand im Rahmen der religiösen Sozialisierung gemacht hat, können beängstigend sein, sich verwirrend, überwältigend und überfordernd anfühlen, aber sie sind nicht an sich traumatisch.

 

Ein Beispiel:

 

Die Lehre von der Hölle führt nicht automatisch zu religiösem Trauma, sondern die Art und Weise wie dein Nervensystem und dein Körper auf diese Lehren reagieren (mit Angst, Panik, Wut …) können zu religiösem Trauma führen.

 

Das bedeutet, religiöses Trauma befindet sich nicht im Kopf, sondern sitzt im Körper.

Aus diesem Grund ist es so wichtig, auf dem Heilungsweg immer den Körper und das Nervensystem mit einzubeziehen und nicht nur rein kognitiv zu arbeiten.

Insgesamt gibt es drei Hauptursachen von religiösem Trauma:

1. Das Elternhaus: Diese erste Ursache betrifft hauptsächlich Menschen, die in eine streng christliche oder fundamentalistisch-evangelikalen Familie hineingeboren wurden. In eine solche Familie hineingeboren zu werden ist nicht automatisch traumatisch. Allerdings können ein streng religiöser Erziehungsstil, dysfunktionale Familienmuster und bestimmte religiöse Glaubenssätze und Überzeugungen innerhalb der Familie dazu führen, dass jemand traumatisiert wird.

2. Die Zeit innerhalb der Gemeinde: Die zweite Ursache von religiösem Trauma umfasst alles, was man innerhalb der Gemeinde erlebt hat und was einem gepredigt und gelehrt wurde. Bestimmte Lehren und Praktiken innerhalb einer Gemeinde können im schlimmsten Fall zu lebenslangen psychischen Einschränkungen und Schädigungen führen, wenn keine Hilfe von außen in Anspruch genommen wird. Leider sind sich viele Mitglieder von Gemeinden mit einer sehr strengen und rigiden Ausrichtung gar nicht darüber bewusst, dass ihre Ängste, Probleme und Schwierigkeiten im Alltag mit religiösem Trauma zu tun haben. 

3. Der Ausstieg:  Die dritte Ursache von religiösem Trauma betrifft den Ausstieg aus der Gemeinde. Der Ausstieg aus einer Gemeinde führt bei den Betroffenen sehr häufig zu hochgradigem Stress und versetzt das Nervensystem in den Überlebensmodus, da es zu einem plötzlichen Verlust der sozialen Bindungen kommt und gelernte Glaubens- und Lebensüberzeugungen keinen Halt mehr geben. Die Betroffenen fühlen sich dadurch oft überfordert, hilflos, ohnmächtig, haben das Gefühl den Boden unter den Füßen zu verlieren und leiden unter großer Einsamkeit, da sie nicht gelernt haben, sich in einer Welt außerhalb von Gemeinde zu bewegen und ihnen beigebracht wurde, dass die Welt da draußen ein gefährlicher Ort ist.

Es müssen nicht alle drei Quellen zu treffen, um von religiösem Trauma betroffen zu sein. Bei einigen Betroffenen trifft nur eine oder zwei Quellen zu.

Welche Symptome können bei einem religiösen Trauma auftreten?

Die Einteilung der Symptome in unterschiedliche Ebenen wurde von der Begründerin des religiösen Trauma Syndroms Dr. Marlene Winell vorgenommen. Ich habe die Einteilung im Folgenden von ihr übernommen und die jeweiligen Symptome für den deutschsprachigen Raum angepasst und gegebenenfalls erweitert. Natürlich müssen nicht alle Symptome zutreffen, um betroffen zu sein.

 

1. Symptome auf kognitiver Ebene: Schwarz-Weiß-Denken, negative Überzeugungen über sich selbst und ein schlechtes Selbstwertgefühl, wirre Gedankengänge und Probleme diese zu regulieren, ethisch-moralischer Perfektionismus, Orientierungslosigkeit, Schwierigkeiten im Hier und Jetzt zu leben, Gefühl von Sinnlosigkeit, Probleme bei der Entscheidungsfindung

2. Symptome auf der emotionalen Ebene: Angst vor der Hölle, Wut, Einsamkeit, Schwierigkeiten Freude und Spaß im Leben zu finden und zu erleben, starke Schuld- oder Schamgefühle, sich wertlos und ungeliebt fühlen, Schwierigkeiten die eigenen Gefühle zu regulieren, Gefühle abspalten, keinen Kontakt zum eigenen Körper haben, Erschöpfung, Burnout, innere Unruhe

 

3. Symptome auf der sozialen Ebene: Verlust von Gemeinschaft und des Zugehörigkeitsgefühls, Bruch mit der Familie, Entwicklungsverzögerungen, sexuelle Probleme, Unbeholfenheit in sozialen Kontakten, Ehe- und Partnerschaftsprobleme, Schwierigkeiten anderen Menschen zu vertrauen, Erschöpfung nach neuen sozialen Kontakten

4. Symptome auf der kulturellen Ebene: sich in der säkularen Welt nicht zurechtfinden, sich wie ein Pinguin in der Wüste fühlen, sich nirgends beheimatet fühlen, Informationslücken, bestimmte Literatur und Musik nicht kennen, ohne Zugang zu Medien aufwachsen, das Gefühl nie wirklich im Leben anzukommen, sich wie ein Alien in dieser Welt fühlen.

 

Bin ich von einem religiösen Trauma betroffen?

 

Der folgende Test kann dir einen Eindruck verschaffen, ob du eventuell von religiösem Trauma betroffen bist. Aufgrund meiner Sorgfaltspflicht weise ich darauf hin, dass dieser Test kein Ersatz für eine ärztliche oder psychologische Anamnese und Diagnose ist und keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Der Test dient lediglich zur Selbsteinschätzung. Du führst diesen Test in eigener Verantwortung durch. Solltest du unter einer akuten psychischen Erkrankung leiden, wende dich bitte an eine Ärzt*in oder Psychotherapeut*in.

Auf einer Skala von 1-10 wie sehr treffen die folgenden Punkte auf dich zu?

1= kenne das Problem nicht

5 = trifft zu, aber beeinträchtigt mich nicht sehr stark

10 = belastet mich so sehr, dass es meinen Alltag einschränkt, ich viel darüber grübele oder deswegen nicht einschlafen kann

1. Ich habe Angst in die Hölle zu kommen.

2. Ich habe Angst, dass geliebte Menschen in die Hölle kommen, wenn sie nicht an Jesus glauben.

3. Ich fühle mich schuldig für den Tod Jesu am Kreuz.

4. Ich habe Angst einen Fehler zu machen.

5. Ich fühle mich für andere Menschen überverantwortlich.

6. Ich bin perfektionistisch.

7. Ich habe das Gefühl meiner eignen Wahrnehmung nicht trauen zu können.

8. Ich habe Angst oder fühle mich unwohl, wenn ich in Kontakt mit bestimmten religiösen Symbolen, Liedern oder Ritualen komme.

9. Ich habe Schwierigkeit meine sexuelle Orientierung zu akzeptieren.

10. Ich hatte nur eingeschränkten Zugang zu bestimmten Informationen, Medien, Literatur oder Musik.

11. Ich glaube, die Welt da draußen ist ein gefährlicher Ort.

12. Ich habe häufig Angst eine (unbewusste) Sünde begangen zu haben.

13. Es bereitet mir Unbehagen einen kurzen Rock zu tragen, mich hübsch zu machen, zu schminken und meine sexuellen Bedürfnisse in einer Partnerschaft zu kommunizieren.

14. Ich hatte noch nie eine feste Freund*in, obwohl ich mir das sehr wünsche.

15. Seitdem ich meinen Glauben dekonstruiere, habe ich Angst einer Irrlehre zu folgen.

16. Ich neige dazu mich für andere aufzuopfern und schütze meine eigenen Grenzen nicht.

17. Ich habe keinen Zugang zu meinen Gefühlen.

18. Ich werde von meinen Gefühlen überflutet und kann sie schlecht regulieren.

19. Ich kenne meine Bedürfnisse nicht und weiß nicht, was ich will.

20. Ich neige zum Schwarz-Weiß-Denken.

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